Viele erleben beim Krafttraining die Diskrepanz, dass genetische Grenzen nicht beliebig ausdehnbar sind, dass „Wachstum“ aber eben ausschließlich mit dem messbaren MEHR definiert wird. Um immerhin an ihr Limit zu kommen, entdecken aber nur wenige eine wesentliche Kraftquelle. Ihren Geist!
Viele fortgeschrittene Kraftsportlerinnen und Kraftsportler denken häufig darüber nach, wie sie weitere Verbesserungen ihrer Leistung und des Aussehens erzielen können. Da werden Trainingspläne periodisiert, Regenerationszeiten sowie Widerstände verändert und variiert, Ernährungsstrategien modifiziert und bedarfsgerecht angepasst. Auch Nahrungsergänzung ist ein Spektrum, auf dem „facettenreiche Experimente“ durchgeführt werden, um stärker und in der eigenen Wahrnehmung „schöner“ zu werden. Aber mehr Muskelwachstum durch mentales Training? Auf die Idee kommt nun garantiert nicht jede und jeder. Dabei ist sie gar nicht so abwegig!
Die Vorstellung erschafft Berge und der Glaube versetzt sie
„Mindset“ und „Visualisierung“ sind Begriffe, die im
Leistungssportsektor heutzutage nicht mehr wegzudenken sind. „Der Glaube
versetzt Berge“ heißt es, zumindest sinngemäß, bei vielen Top-Athleten.
Beim mentalen Training werden die Kilos, Zentimeter und Sekunden
bereits erdacht, die später nötig sind, um den Sieg zu erringen. Die
Kraft der Gedanken beschäftigte schon die ganz Großen. Einstein
formulierte „Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen“ und von Mark
Aurel stammt der Satz „Das Glück deines Lebens hängt von der
Beschaffenheit deiner Gedanken ab“.
Etwas neuzeitlicher geht’s natürlich auch. Wenn wir das
Trainingsrepertoire des wohl prominentesten Vertreters der Kraftzunft
des letzten halben Jahrhunderts – Arnold Schwarzenegger – genau
betrachten, bestätigt sich die sportliche Bedeutung des Geistes. Für
Schwarzenegger waren nicht nur Konzentration und der exakte Ablauf der
Trainingstechniken maßgeblich. Er äußerte, dass der Glaube daran,
tatsächlich massiv muskulös werden zu können immer eine wesentliche
Kraftquelle für ihn war. Seine Trainingsprinzipien sind längst legendär
und beinhalten immer auch Visualisierungstechniken.
In seiner Vorstellung ließ Schwarzenegger einzelne Muskelgruppen zu
einem Berg anwachsen. Das Zitat aus einem Interview bekräftigt die
Bedeutung der mentalen Power für ihn: „Es ist der Geist. Er erschafft
den Körper, er macht es möglich, dass du vier, fünf Stunden täglich
trainierst. Der Geist visualisiert, wie der Körper als finales Produkt
aussehen soll … Deshalb denke ich, dass der Körper sehr wichtig ist,
aber die Gedanken sind wichtiger als der Körper.“
Was sagt die Wissenschaft?
Es gibt einige ältere und neuere neurowissenschaftliche Untersuchungen,
welche die These stützen, dass nur das bloße Lenken der Gedanken auf
einen Muskel und dessen Anspannung zu einem Wachstumsreiz führen. Eine
davon stammt von Forschern der Universität Ohio in den USA. Im Rahmen
von deren Untersuchung wurden mit Probanden tägliche mentale
Vorstellungsübungen praktiziert und die Ergebnisse mit denen einer
Kontrollgruppe verglichen, die nicht an dem geistigen Training teilnahm.
Bereits nach zwei Wochen konnten die Forscher einen durchschnittlichen
Zuwachs an Muskelstärke um 13,5 Prozent in der Mentaltrainingsgruppe
feststellen. Das Plus an Muskelstärke blieb noch drei Monate nach
Beendigung des Trainings erhalten. Bei der Kontrollgruppe konnte keine
Entwicklung festgestellt werden.
Die Forscher der Universität Ohio wollten darüber hinaus in einer Studie
die exorbitante Leistung des Gehirns in Bezug auf die Verringerung von
Atrophien (Muskelschwunden) bei ansonsten völliger „Passivität“
erfassen. Sie fixierten dazu ein Handgelenk von Probanden mit einem
Gipsverband, um die umliegende Muskulatur vier Wochen lang komplett
ruhig zu stellen. Zudem wurden zwei Gruppen gebildet. An fünf Tagen in
der Woche sollte sich die eine Gruppe jeweils elf Minuten vorstellen,
wie die ruhiggestellten Armmuskeln in allen Einzelheiten trainiert
werden. Die andere Gruppe hingegen erhielt keine spezifischen
Anweisungen.
Nach vier Wochen war der atrophische Verlust bei den Probanden, die
gezielte Mentaltrainingsübungen durchgeführt hatten, nur halb so groß,
wie bei den passiven Probanden. Mithilfe einer Computertomografie
konnten die aktiven Areale im Gehirn und auch stärkere neuromuskuläre
Nervenbahnen der Mentaltrainingsgruppe ähnlich wie bei einem echtem
Training nachgewiesen werden.
Fakt ist: Muskeln bewegen sich, wenn sie ein Impuls der motorischen
Nervenzellen erhalten! Die Intensität des Wachstumsreizes hängt von der
Konzentration und der Stärke des Signals auf die motorischen
Nervenzellen ab. Viele Studien haben gezeigt, dass die Gedanken einen
solchen Impuls auf die motorischen Zellen ausüben können. Dabei wird
nicht immer ein Muskelzuwachs konstatiert. Dann heißt es aber zumindest,
dass das Auslassen einer bestimmten Anzahl von Trainingsstunden nicht
schadet, wenn man sich in der gewonnenen Zeit mental fit macht.
Was ist zukünftig zu erwarten und zu wünschen?
Das Wissen um die enge Verzahnung von Körper und Geist und die Wirkung solcher Mentalmuskeltrainings kann nicht nur Kraftsportlern zugute kommen, sondern auch älteren oder kranken Menschen dienen, die für die Lebensqualität so wichtige Muskelmasse zu erhalten. Insgesamt ist „die Macht der Gedanken“ aber noch ein Forschungsareal, das es weiter zu erschließen gilt – außerdem wäre es wünschenswert, wenn den Erkenntnissen mehr Eingang in die Praxis verschafft würde. Dann könnte dieses Potenzial zukünftig noch besser genutzt werden und das rein körperliche Training äußerst sinnvoll ergänzen.
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