Fast nackt!


Kälteanwendungen haben eine positive Wirkung auf unser Immunsystem, die Mitochondrien und sie reduzieren Insulinresistenzen. Es geht auch darum, einen Kontrapunkt zu unserem Alltag zu setzen. Ein Alltag, in dem wir es uns sehr bequem gemacht haben. Für Körper und Geist ist es heilsam, ab und an zu frieren, zu hungern, durstig zu sein und die Natur mit allen Sinnen zu spüren.

Acht Uhr morgens in einem kleinen Haus am Waldrand. Ich klettere voller Vorfreude aus dem Bett. Kaum habe ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben, stelle ich mir die Frage, ob ich für das, was ich vorhabe, mutig genug bin? Ein Blick aus dem Fenster lässt mein Herz auch gleich höherschlagen. Über Nacht hat es geschneit. Der frische Schnee hat sich wie ein glitzerndes Polster auf Felder, Bäume und Wege gelegt. Der perfekte Rahmen für mein Vorhaben. Zum einen, weil ich Schnee liebe und zum anderen, weil es in wenigen Augenblicken um das bewusste Aushalten von Kälte gehen wird. Wieso „aushalten“, mag man sich jetzt fragen? Warm anziehen und dann hinaus in die Natur. Genau das werde ich nämlich gleich tun. Allerdings lasse das mit dem „warm Anziehen“ heute weg.  Ich schlüpfe also in eine kurze Hose und meine Zehenschuhe. Zur Sicherheit nehme ich noch eine Mütze und Handschuhe mit und schon bin ich fertig zum Losmarschieren. Mit dem Frühstück muss ich mich auch nicht lange aufhalten. Ein zusätzlicher Teil der Herausforderung besteht darin, ohne Nahrungs- und Wasseraufnahme in den Tag zu starten.

Der Weg ist das Ziel

Ein Blick auf das Thermometer verrät mir, dass sich die Temperaturen knapp um den Gefrierpunkt bewegen. Zwei Türen trennen mich noch vor meiner ersten Kältewanderung. Beim Öffnen der ersten Türe, spüre ich den ersten kalten Lufthauch, der, von einer Gänsehaut begleitet, über meinen Oberkörper tanzt. Ich atme tief durch und versuche, meine Gedanken zu beruhigen und den Zitterimpuls wegzuatmen. Es gelingt. Mit leicht zittrigen Fingern öffne ich die zweite Türe. Nach zwei tiefen Atemzügen trete ich hinaus und stehe halbnackt in der kalten Winterluft. Überrascht stelle ich fest, dass es gar nicht so schlimm ist. Von dieser Erkenntnis motiviert, starte ich meine Winterwanderung. Der Weg führt zunächst steil bergauf. Um meiner inneren Ruhe etwas Gutes zu tun, habe ich mir vor geraumer Zeit damit begonnen, bei Spaziergängen und Wanderungen nur durch die Nase zu atmen. Diese Atemtechnik ist in den ersten fünf bis zehn Minuten ein Horrortrip. Hirn und Atemwege benötigen nämlich eine gewisse Zeit, um sich auf diese ungewohnte Atmung einzustellen. Der Kampf gegen das Erstickungsgefühl hat den großen Vorteil, dass ich keine Zeit habe, über die Kälte nachzudenken. So bringe ich schnaufend die ersten zehn Minuten hinter mich. Sobald sich Atmung und Hirn beruhigt haben, breitet sich ein Gefühl von tiefer Entspannung in mir aus. Lediglich einem kalten Windstoß gelingt es, mich auch meiner Meditation zu reißen. Zum Glück flaut dieser rasch wieder ab und ich kann meinen Weg in meditativer Stille und innerer Ruhe fortsetzen.

Die Kälte bewusst annehmen

Jetzt führt der Weg über eine Wiese. Das Gefühl, ein paar verirrte Sonnenstrahlen auf der nackten Haut zu spüren, nachdem ich 20 Minuten im Wald gefroren habe, ist unbeschreiblich. Dieser Genuss begleitet mich nicht allzu lange, denn schon verschwinde ich wieder unter den Bäumen und nehme die Kälte wieder bewusst wahr. Meine Haut ist spürbar abgekühlt. Allerdings friere ich nicht. Im Gegenteil. Ich beginne, das Gefühl von Kälte zu genießen. Als ich an einem Bauernhof vorbeikomme, winke ich den im Schnee spielenden Kindern zu. Was die wohl über mich denken? Sie in einen warmen Skianzug gehüllt und ich nur so leicht bekleidet – beinahe nackt. Aber vielleicht sollten wir uns weniger daran orientieren, was andere über uns denken und wieder lernen, auf unsere innere Stimme zu hören?

Eine kalte Schlüsselstelle gilt es auf dem Rückweg noch zu überwinden. Ein Bach, der sich gurgelnd ins Tal schlängelt, quert den Weg. Hier ist es deutlich kälter. Der Lufthauch, der den plätschernden Wasserlauf begleitet, lässt mich erstmals vor Kälte zittern. Ich nehme es bewusst wahr und versuche, das sich ausbreitende Zittern über die Atmung zu kontrollieren. Es gelingt. Zufrieden beende ich meine 30-minütige Kälteerfahrung. Es werden mit Sicherheit noch weitere folgen.