Aus sportwissenschaftlicher Sicht bildet der Bereich Agility eine Schnittstelle zwischen den konditionellen Fähigkeiten, der Bewegungsansteuerung und -kontrolle sowie kognitiven Prozessen. In sportlichen Bewegungen treten diese Parameter niemals isoliert auf, sondern immer im wechselseitigen Zusammenspiel. Sportliche Leistungen sind folglich immer an ein ganzheitliches Zusammenwirken der athletischen und kognitiven Teilleistungen der Athleten gebunden.
Agility stellt eine Verbindung zwischen den konditionellen Fähigkeiten, der Bewegungssteuerung und kognitiven Prozessen her. Bei planvoll gestaltetem Training liegt hier großes Potential zur Leistungssteigerung. Wichtig ist die klare Zielformulierung mit einer darauf abgestimmten Übungsauswahl und -gestaltung. Dazu können neben etablierten Belastungsparameter auch Agility-spezifische Aspekte der Übungsgestaltung genutzt werden.
Der Nutzen für den Sport
Die Zusammenführung der einzelnen Teilkomponenten Kondition, Bewegungssteuerung und Kognition führt sicherlich nicht zu einer Vereinfachung und geht zulasten der Übersichtlichkeit, die für eine strukturierte Trainingsplanung von Vorteil ist. Es ist deutlich angenehmer, Blöcke aus Kraft, Schnelligkeit, Taktik- und Techniktraining in regelmäßiger Struktur aneinanderzureihen. Grundsätzlich ist diese Struktur bewährt und soll in diesem Beitrag auch in keiner Weise angegriffen werden. Warum sollte man sich also zusätzlich Gedanken über die Struktur und Trainierbarkeit von Agility machen?
Allen voran sind die Vorteile für Spielsportarten zu nennen, wobei auch in etlichen anderen Disziplinen Agility-Elemente enthalten sind. Während bei den Spielsportarten beispielsweise schnelle Ganzkörperbewegungen multidirektional in Reaktion auf Gegnerbewegungen, Ballflugkurven oder Schlägerbewegungen zu vollziehen sind, können bei anderen Disziplinen die Stimuli durch Umwelteinflüsse gegeben sein. Ein treffendes Beispiel wäre hier der Skisport. Kerngedanke ist die Annahme, dass gezielte Verbesserungen der Agility-Leistung zu höheren Leistungssteigerungen führen können, als die weitere Verbesserung der scheinbar limitierenden konditionellen Fähigkeiten (z. B. Schnelligkeit). Plakativ formuliert: Wenn ein Athlet nicht erkennt, wann er in welche Richtung starten muss und nicht die nötigen Bewegungen im Repertoire hat, um diesen Richtungswechsel umzusetzen, bringt eine weitere Verbesserung der Maximalgeschwindigkeit wenig Ertrag bei hohem Aufwand. Diese vielseitige Übertragbarkeit der potenziellen Leistungssteigerungen ist aufgrund der gegebenen zeitlichen Knappheit im Athletiktraining maximal wichtiges Kriterium für die Auswahl geeigneter Trainingsinhalte und somit ein starkes Argument für die Integration von planvoll aufgebauten Agility-Übungen in den langfristigen Leistungsaufbau.
Der planvolle Aufbau als Schlüssel
Die Akzeptanz gegenüber dem zuvor beschriebenen Vorgehen in der Praxis ist aktuell hoch, da der Nutzen offensichtlich und kaum zu ignorieren ist. Ganzheitliches Training ist spätestens seit Verstegens DFB-Zeiten hierzulande ein Trend, welcher gerade durch die zunehmende Integration von neuronalen Aspekten ins Athletiktraining einen weiteren Höhepunkt findet. Auch das Agility-Training kann diesem Trend zugeordnet werden. Die Umsetzung in der Praxis ist jedoch zum Teil von einem planvollen Aufbau weit entfernt. Während „altbekannte“ konditionelle Fähigkeiten im Training durch evaluierte und etablierte Belastungsparameter relativ einfach zu steuern und damit auch progressiv zu periodisieren sind, scheint beim Agility-Taining der Grundsatz „mehr ist mehr“ Einzug gehalten zu haben. „Drehung um die eigene Achse mit anschließendem Vollsprint im Sand, wenn die Rechenaufgabe, die im Dunkeln zu lösen ist, eine gerade Zahl ergibt. Wenn du zu langsam bist, trifft dich einer der vier Medizinbälle, die aus allen Richtungen auf dich einprasseln. Den roten musst du allerdings fangen.“ Ein solches Vorgehen mag Klicks im Internet generieren, aber der Übertrag auf sportliche Leistungen ist mehr als fraglich.
Zwar gibt es allgemeingültige Belastungsnormative wie Belastungszeit, -umfang oder -intensität, bei der Erarbeitung eines so komplexen und fähigkeitsübergreifenden Konstrukts wie Agility müssen für den praktischen Einsatz allerdings konkretere Parameter definiert werden, um planvoll und zielgerichtet agieren zu können. Die bestehenden Belastungsnormative zur Trainingssteuerung verlieren deshalb keinesfalls an Gültigkeit, greifen jedoch für sich genommen schlichtweg zu kurz.
Nachfolgend werden vier Parameter der Übungsgestaltung vorgestellt, die der Gestaltung und Analyse von Trainingsübungen für den Komplex Agility dienen können:
Ausgangsposition
Die Ausgangsposition einer Übung legt fest, aus welcher körperlichen Grundhaltung heraus die stimulusbasierte Schnelligkeitshandlung erfolgt. Sie legt demnach auch fest, ob negative Geschwindigkeitsanpassungen, sprich Bremsbelastungen, zur Umsetzung der geeigneten Folgehandlungen notwendig werden und in welchem Umfang. Bremsbelastungen erhöhen die physiologische Anforderung einer Aufgabestellung enorm und sollten deshalb vorsichtig, jedoch frühzeitig angebahnt werden, wenn sie integrativer Bestandteil der Zielsportart sind.
Stimulus
Die Kategorie Stimulus umfasst die Form und Ausprägung der externen Handlungsimpulse. Hier können auf Empfängerseite unterschiedliche Analysatoren beansprucht werden, aber auch unterschiedliche Sender sind möglich, die mehr oder weniger eindeutig zu identifizieren sind. So sind beispielsweise Farben oder Töne klar von Gesten, Ballbewegungen oder Umgebungsbedingungen zu unterscheiden.
Entscheidungsdimensionen
Die Entscheidungsdimension einer Übung umfasst die Anzahl und Eindeutigkeit der auf den Stimulus folgenden Handlung. Einer Entscheidung kann aufgrund der minimalen Reaktionszeit kein reflektierter Denkprozess zugrunde liegen. Mustererkennung, Erfahrungswerte und Reaktionsfähigkeit sind demnach hier leistungsbestimmend. Je vielfältiger und situationsabhängiger die Entscheidungsfindung gestaltet ist, desto schwieriger ist die Anforderung.
Vorsicht: Zu komplexe Aufgabenstellungen verhindern auf dem unteren Leistungsniveau die Schnelligkeit der Umsetzung und sind somit nicht zielführend. Mit zunehmender Sportartspezialisierung der Aufgaben sind die Grenzen zwischen Agility-Training und komplexem Taktiktraining nicht mehr trennscharf, da in beiden Bereichen musterbasierte Entscheidungsfindungen einen erheblichen Stellenwert einnehmen.
Zielbewegung
Diese Kategorie schätzt die physischen Anforderungen der Zielbewegung ein. Alle Bewegungshandlungen, respektive deren Einleitung, sind per Definition maximal schnell auszuführen. Schwierigkeitsbestimmend sind demnach unter anderem externe Widerstände und Umgebungsbedingungen sowie der Grad der Vertrautheit des Sportlers mit der Bewegung und der erforderliche Fertigkeitsanteil zur Umsetzung. Mit zunehmender Sportartspezialisierung verschmelzen die Grenzen zwischen Agility-Training und Techniktraining. Tennisspieler sollten beispielsweise bei allen Laufbewegungen auch ohne Ball einen Schläger in der Hand haben, um das Bewegungsmuster realistisch abzubilden.
Für einen sinnvollen Aufbau ist es wichtig, bei Übungen diese Parameter überlegt miteinander zu kombinieren und Schwerpunkte zu setzen. Soll beispielsweise der Fokus auf komplexe Ausgangspositionen gelegt werden, sind die anderen Parameter nicht gleichzeitig auf dem höchsten Anforderungsniveau einzufordern. Diese Differenzierung mit schrittweiser, individueller Steigerung des Schwierigkeitsgrades unterscheidet ein planvolles Agility-Training von den leider viel zu häufig zu beobachtenden „Show-Übungen“ aus dem Internet. Wichtig und unabdingbar ist eine klare Zielformulierung im Vorfeld, die sich selbstverständlich an den individuellen Schwächen der Athleten orientieren muss.
Im hohen Leistungsbereich können Videoaufnahmen dabei helfen, innerhalb der komplexen Gesamtbewegung einzelne Faktoren besser zu analysieren und die Defizite abzuleiten.
Sind Agility-Leitern, Hürden, Reaktionsbälle und sonstiges Zubehör also nur Marketingtricks? Nein, es sind Werkzeuge, die für Athleten beim Agility-Training zum richtigen Zeitpunkt für sein entsprchendes Defizit oder Ziel sehr hilfreich sein können. Wer allerdings davon ausgeht, dass der Einsatz von solchen Geräten per se zur Verbesserung der Agility-Leistung der Athleten beiträgt, irrt. Die Mischung aus etablierten Leitlinien und neuen Erkenntnissen macht das Themengebiet zwar aktuell noch sehr fordernd in der Trainingsplanung, aber liegt nicht genau hier der Reiz? Das Potenzial ist jedenfalls riesig und der Aufwand lohnt sich auf jeden Fall.